In der Regel steht der Weinhandel mit seinen Produkten direkt bzw. indirekt im Wettbewerb mit Mitanbietern. Oftmals treffen diese auf lokalen Märkten zusammen, und es gibt beispielsweise mehrere Weinhandlungen am gleichen Ort. Darüber hinaus drängen aber auch andere Anbieter – wie der Einzelhandel, Tankstellen und weitere – in den Weinmarkt. Hinzu kommt die Entstehung eines überregionalen oder virtuellen Wettbewerbs, durch Versand- und Internethandel.

Weinmarketing: Differenzierung und Positionierung im Weinhandel

Wenn das Angebot nicht ausreichend differenziert ist, neigen viele Käufer dazu, Produkte bei dem Anbieter mit dem niedrigsten Preis zu kaufen (vgl. Champagner oder Brunello bei Discountern). Das kann dazu führen, dass die teureren Wettbewerber Rabattaktionen anbieten oder sogar die Preise im Sortiment anpassen. Dieser Preiskampf lässt sich vermeiden, wenn eine entsprechende Differenzierung des Angebots gelingt. Zudem können dadurch auch andere Wettbewerbsvorteile gegenüber den Mitanbietern erreicht werden.

Für die Differenzierung ist jedoch eine klare Positionierung am Zielmarkt erforderlich. Ziel dabei ist es, die Kunden langfristig an sich zu binden. Dies wird möglich, wenn der Weinhändler die Bedürfnisse und das Kaufverhalten seiner Kunden besser kennt als die Mitanbieter. Nach einer Theorie des Marketing-Vordenkers Philip Kotler entscheiden sich die Käufer in der Regel für das Angebot des Händlers, das ihnen den höchsten Wertgewinn bietet. Einfach ausgedrückt: Es geht nicht nur um das Produkt und den Preis, sondern um das vom Kunden wahrgenommene Gesamtpaket.

Der Käufer betrachtet den Unterschied zwischen Aufwand und Nutzen und wägt diesen gegenüber Mitbewerbern ab. Dieser Vorgang läuft beim Käufer unbewusst ab. Nur wenn der Käufer erreicht wird und ihm der Gesamtwert hoch genug erscheint, wird der Weineinkauf zum „People-Business”, das schwerlich oder gar nicht vom Einzelhandel oder vom Versand- und Internethandel dargestellt werden kann.

Trotzdem sind einige bereit, den unpersönlichen Weinkauf im Internet zu vollziehen. Dies ist der Fall, wenn der Gesamtwert des Nutzens anderer Komponenten den Wert des 1:1-Kontakts zu übersteigen scheint. Dabei ist der Preis nur eine Komponente. Andere Faktoren in der Gesamtbetrachtung sind z.B. der zeitliche Aufwand oder der Aufwand für Energie. In der Regel wird der Gesamtaufwand für den Kunden im Versand- oder Internethandel geringer sein als im stationären Handel. Aus dieser Annahme ergibt sich, dass sich eine Abgrenzung nur über den Nutzwert des stationären Handels bewerkstelligen lässt.

Der stationäre Weinhandel kann sich also nur durch einige wenige Komponenten positiv vom Versand- und Internethandel abgrenzen und einen Wertgewinn für seinen Kunden erzielen. Der Wertgewinn des Kunden ergibt sich durch Gesamtwert (Summe aller Vorteile) minus Gesamtkosten (Summe aller objektiven Kosten und persönlicher Aufwand). Einen hohen Wertgewinn kann der stationäre Weinhandel für seine Kunden nur dann erreichen, wenn er ein besonderes Augenmerk auf die Komponenten Service, Beratung und vertrauensvoller Umgang mit dem Kunden legt. Der Weinhändler kann sich gegenüber den Mitbewerbern aus dem Versand- und Internethandel abgrenzen, wenn er emotional aktivieren kann, und dies im Besonderen, wenn er sich der außerordentlichen Bedeutung des 1:1-Kontakts bewusst wird und sich vor Ort aller sich bietenden visuellen, gustatorischen, kinästhetischen  und olfaktorischen Möglichkeiten bedient. Der Weineinkauf muss eine gelungene Mischung aus Erlebnis, Emotion, Beratung und Service sein. Hierdurch kann der Weinhandel vor Ort punkten, denn alle diese Möglichkeiten bieten sich dem Versand- und Internethandel kaum.

Der Weinhändler muss jedoch nicht nur die Abgrenzung gegenüber dem Versand- und Internethandel schaffen, sondern auch gegenüber den Mitbewerbern am Ort. Auch hier wird der Kunde eine Entscheidung durch Abwägung von wahrgenommenem Nutzen und wahrgenommenem Aufwand treffen. Auch hier kann die Bilanz positiv beeinflusst werden, indem man dem Kunden neben dem bereits erwähnten Nutzenpaket aus Produktwert, Service, Beratung und weiteren Dienstleistungen ermöglicht, seinen Gesamtaufwand für Zeit, Energie und Kosten zu reduzieren. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele anführen: Parkplätze, Lieferservice, Versand, Terminvereinbarung, Öffnungszeiten usw.

Die Kunden werden die Attraktivität der einzelnen Komponenten unterschiedlich bewerten. Für den einen Kunden ist es ein großer Vorteil, dass er die gekauften Weine zum Auto geliefert bekommt, für den anderen ist dies kein Argument. Bei dem Versuch, den Gesamtwert des Angebots für die Kunden zu erhöhen bzw. die Gesamtkosten zu senken, empfiehlt sich die Orientierung an der favorisierten bzw. angestrebten Zielgruppe. Genaue Detailkenntnisse über die Zielgruppe und deren Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse sind dafür die grundlegende Voraussetzung.

Zur Positionierung und Abgrenzung gehört auch eine Mitbewerberanalyse, um Unterschiede kennen zu lernen. Jedoch hat nicht automatisch jeder Unterschied eine Bedeutung oder einen Wert. Die Umsetzung eines Unterschieds sollte nur angestrebt werden, wenn dieser einer ausreichend großen Anzahl von Kunden einen Zusatznutzen bietet oder dadurch ein Alleinstellungsmerkmal entsteht. Idealerweise ist eine Veränderung so attraktiv, dass diese den Gesamtwertgewinn des Kunden so positiv beeinflusst, dass etwaige Zusatzkosten an den Kunden weitergeben werden können und sich ggf. sogar eine Chance auf zusätzliche Gewinne ergibt.

Mitbewerberanalyse bedeutet aber auch zu erforschen, was die Zielgruppe am Einkauf im Internet schätzt, und zu prüfen, welche dieser Wünsche im stationären Weinhandel erfüllt werden können. Die Studie „EINKAUFEN 4.0 – Der Einfluss von E-Commerce auf Lebensqualität und Einkaufsverhalten“ von Deutsche Post DHL zeigt deutlich, was die Zielgruppe wünscht. Folgende Aussagen wurden als besonders zutreffend eingestuft:

  • „Durch Online-Shopping kann ich genau zu den Zeiten einkaufen, die in mein Leben passen.“
  • „Wenn ich online einkaufe, finde ich in der Regel genau das Produkt, das ich suche.“
  • „Durch Online-Shopping fühle ich mich heute besser informiert über Angebote und Preise als früher.“
  • „Durch Online-Shopping habe ich heute viel weniger Stress beim Einkaufen als früher in der Stadt.“
  • „Durch Online-Shopping hat man heute Zugang zu Produkten, die man im Geschäft / über Katalog gar nicht bekommen würde.“
  • „Durch Online-Shopping spare ich insgesamt sehr viel Zeit beim Einkaufen.“
  • „Aufgrund der Möglichkeit, Dinge online einzukaufen, bin ich entspannter.“

Der stationäre Weinhandel kann den Gesamtwert für den Kunden gegenüber dem Internethandel deutlich steigern, wenn er für folgende Punkte Lösungen vor Ort anbietet:

  • Umfangreiches Informationsangebot, auch über das Produkt hinaus (Hintergründe, Zusatzinformationen, Interessantes)
  • Produktauswahl (Nische und Spezialisierung vs. breites Sortiment)
  • Preis
  • Reduzierung von Stress / Schaffung von Flexibilität (Öffnungszeiten, Terminvereinbarung, Events, Lieferung, Transport etc.)

Langfristig wird der Weinhandel jedoch nur eine Chance haben, wenn er das Beste aus beiden Welten vereint und sein Angebot vor Ort um ein professionelles Onlineangebot mit einer durchdachten Präsenz in den sozialen Medien erweitert.

Anregungen und Tipps für eine erfolgreiche Online- und Social-Media-Strategie können in meinem Buch „Weinmarketing – Das Praxishandbuch: Marketingpraxis und Anwendungen der neuen Medien für Weinerzeuger und Weinhändler“ (ISBN-10: 3942051478) nachgelesen werden. Einen umfangreichen Artikel zum Thema Weinmarketing im Handel „Vom analogen zum digitalen Weinhandel- Standortbestimmung – Marktanalyse Fachhandel“ hat darüber hinaus Holger Schwedler Dozent an der Hochschule Geisenheim geschrieben.